Wie ein neues Brotrezept entsteht
In den letzten beiden Jahren, in denen Brotbacken zwischenzeitlich ein beliebter Zeitvertreib geworden war, bin ich häufiger gefragt worden, wie eigentlich meine Brotrezepte entstehen, also woher ich etwa weiß, welche Zutaten in welcher Menge und bei welcher Temperatur wie verarbeitet werden müssen und wie viel Zeit die einzelnen Arbeitsschritte benötigen. Auf diese ebenso interessante wie komplexe Frage möchte ich versuchsweise zwei Antworten geben, eine systematische, aus Sicht des ja schlecht leugbaren Wissenschaftlers und Handlungstheoretikers, der ein Gutteil meines Lebens bevölkert, und dann eine anekdotische, in der der Halbtagsmensch und Bastler mehr zum Zuge kommt.
Erfahrung, Recherche, Ausprobieren, Verfeinern
Beginnen wir mit der systematischen Antwort. Die ist ebenso einfach wie sie voraussetzungsreich ist. Nach mittlerweile mehr als sieben Jahren Hobbybäckerei kann ich auf eine ganze Menge unterschiedlicher Ressourcen und Routinen zurückgreifen, die mir das Backen erleichtern, daneben aber auch bei der Entwicklung neuer Rezepte hilfreich sind. Ich habe – kurz gesagt – bereits eine Menge Erfahrung gesammelt, die es mir ermöglicht, viele Dinge und Abläufe vor dem Hintergrund eines meines Wissens abzuschätzen, etwa wenn es um die Beurteilung von Zutatenverhältnis, Konsistenz oder Reifegrad von Teigen geht. Dieses Wissen geht in großen Teilen auf zwei Aktivitäten zurück: die Recherche und das Ausprobieren. Mit Recherche meine ich dabei vor allem das Lesen und Nachvollziehen von Brotbackbüchern und Blogs, in denen Techniken erklärt und Rezepte detailliert beschrieben werden. Mittlerweile habe ich mir eine größere Sammlung an Büchern zugelegt, und das Internet beherbergt ja bekanntermaßen einen unerschöpflichen Vorrat an Rezepten jeglicher Geschmacksrichtung und Erfahrungsstufe. Neben dem nötigen Detailwissen hat mir die Recherche aber auch dabei geholfen, Ähnlichkeiten zwischen Rezepten zu erkennen, sowohl was Abläufe angeht als auch hinsichtlich der verwendeten Zutaten und Vorstufen. Besonders hilfreich fand ich in diesem Zusammenhang das Brotbackbuch Nr. 2 von Lutz Geissler, weil es für jedes Rezept neben einer Basisversion drei Varianten anbietet, für die Zusammensetzung, Führung und Verarbeitung des Teiges variiert werden.
Auf diese Weise kann man sich sehr viel nützliches Wissen aneignen, aber auch beim Backen gilt, dass die Wahrheit auf der Arbeitsplatte liegt, gut bemehlt natürlich. Das heißt vor allem: Ausprobieren, das theoretische Wissen in praktisches Tun übersetzen, dabei alle möglichen Fehler machen, nach und nach lernen, was funktioniert und was eher nicht, das komplexe Zusammenspiel von Zutaten, Zeit, Temperatur und Bearbeitung verstehen lernen – und sich nebenbei den Bauch mit viel Brot vollschlagen. Das endet anfangs häufiger in Ernüchterung, etwa wenn das Brot zwar von außen köstlich aussieht und riecht, aber von innen noch klebrig ist und keine gute Krume ausgebildet hat. Aber auch und besonders aus Fehlern habe ich viel dazugelernt, vor allem dadurch, dass ich über einen längeren Zeitraum immer wieder dasselbe Rezept verwendet habe, erst dieses und später dann dieses. Mit der Zeit habe ich so zum einen Sicherheit im Umgang mit den verschiedenen Faktoren gewonnen, welche die Qualität des Brots maßgeblich beeinflussen, andererseits habe ich – als das jeweilige Rezept zu einer Routine geworden war – begonnen, die Rezeptur schrittweise anzupassen und zu verfeinern, um das Ergebnis weiter zu verbessern.
In der Kombination dieser verschiedenen Elemente liegt letztlich auch die systematische Antwort auf die Frage begründet: Kraft meiner Erfahrung im Backen, befördert durch Kenntnis und Nachvollzug vieler Rezepte, habe ich eine solide Basis gewonnen, um neue Rezepte aufzusetzen, indem ich die gewünschten Zutaten so kombiniere, wie es in anderen Rezepten vorgeschlagen wird und mir bei anderen Broten gelungen ist. Ausgehend von dieser Grundlage verfeinere ich dann Zutaten und Abläufe so lange, bis alles passt. Häufig gehe ich bei neuen Rezepten von Vorlagen aus, die ich nachgebacken und die mir gefallen haben, und ändere das Rezept dann Schritt für Schritt. Manchmal kommt dabei dann ein ganz anderes Brot heraus als ursprünglich geplant.1 Das hat, und damit kommen wir zur zweiten, anekdotischen Antwort auf die Frage, auch damit zu tun, dass in mir ein Bastler wohnt und wütet, der sich gern über sorgfältig vorbereitete Pläne hinwegsetzt, um “einfach mal zu gucken, was passiert”.
Einfach mal gucken, was passiert
Um dieser zweiten Antwort nachzugehen, bot sich über die Feiertage ein willkommener Anlass. Mal wieder zu Gast auf dem heimatlichen Brömsenknöll habe ich die Zeit zwischen den Jahren genutzt, um gemeinsam mit meiner Mutter einen neuen Sauerteig anzusetzen, nach diesem Rezept. Muttern backt selbst hin und wieder Brot, angestiftet durch den verrückten Filius, bislang aber ohne einen eigenen Sauerteig. Das, und weil im ihr geschenkten Backbuch2 einige Rezepte einen Sauerteigansatz benötigen, war Anlass genug, mal wieder einem Sauerteig beim Werden zuzugucken. Nach vier Tagen hatten wir einen Ansatz, der sein Volumen innerhalb weniger Stunden mehr als verdoppelte; hohe Zeit also, damit ein erstes Brot zu backen.3
Aus den insgesamt 1000g Sauerteigansatz haben wir zwei Brote hergestellt und dabei ein wenig improvisieren müssen, vor allem wegen fehlender Utensilien und Zutaten im Vergleich zu meiner Bastelwerkstatt. Die jeweils 500g Sauerteig haben wir aus der Lamäng um weitere Zutaten ergänzt. Bei diesem Vorgang passierte eine ganze Menge in meinem Kopf (siehe oben, Antwort 1), praktisch aber haben wir recht zügig Roggen- (Vollkorn) und Dinkelmehl (630), Trockenhefe, Salz und Wasser in geschätzten Mengen zusammengerührt, von Hand verknetet und in zwei Stufen reifen lassen. Gebacken wurden die Brote dann auf dem Backblech. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen; dass es auch vorzüglich schmeckte, musste ich mir nach der Abreise von den Eltern versichern lassen.

Damit habe ich zwei Dinge gewonnen: einen Urlaubssauerteig, mit dem ich auch im Elternhaus leckeres Brot backen kann, und ein neues Basisrezept für das Drager Landbrot. Das ursprüngliche Rezept (siehe “Ausgangsrezept”) basiert auf recht groben Mengenverhältnissen, die sich leicht messen und merken lassen, und folgt ansonsten den üblichen Arbeitsschritten zur Brotherstellung. Auf dieser Basis habe ich in den letzten Wochen das Landbrot ein paar Mal gebacken, dabei die Ergebnisse verglichen, Mengen angepasst, Zeiten optimiert und Techniken variiert. Und so kommt ein neues Rezept in die Welt – und in meine Rezeptsammlung.
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In manchen Fällen verändere ich Rezepte zudem im Laufe der Jahre, etwa weil ich in der Zwischenzeit neue Techniken gelernt oder neues Equipment angeschafft habe; dazu gehört beispielsweise die Stückgare in einem Gärkorb aus Holzschliff. Manchmal hat sich auch einfach mein Geschmack verändert, so im Fall des Roggenvollkornbrots mit Sonnenblumenkernen, bei dem ich jüngst den Sauerteiganteil verdoppelt habe, um dem Brot einen würzigeren Geschmack zu verleihen. ↩︎
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Ein tolles Buch für Einsteiger.innen, die lieber ausprobieren anstatt lange Abhandlungen über Teigführung, Zutaten und Knettechniken zu lesen, ist Die besten Brotrezepte für jeden Tag von Lutz Geissler. Der Einführungseil ist sehr knapp, aber alle Rezepte sind sehr anschaulich und detailliert beschrieben, die meisten zudem für Anfänger.innen gut zu bewältigen. ↩︎
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Nicht vergessen sollte man, 10g des fertigen Sauerteigs abzuzweigen, mit je 50g Vollkornmehl und handwarmem Wasser zu vermischen, diese ein paar Stunden warmzustellen – und dann ab in den den Kühlschrank damit. Aus diesem Anstellgut lässt sich dann für jeden Backvorgang ohne großen Aufwand ein Vorteig herstellen. ↩︎
Letzte Aktualisierung: 22.01.2022