Luxemburg erlebt gerade ein hoch interessantes Kapitel staatlicher Sprachenpolitik. Mit einigem Aufwand wird derzeit eine Kampagne zur Schreibung des Luxemburgischen lanciert, auf der eigens eingerichteten Website schreiwen.luebenso wie auf Facebook. Diese soll Luxemburger.innen auf unterhaltsame Weise mit den Rechtschreibregeln vertraut machen. In 15 kurzen Lektionen werden die Besonderheiten und Tücken der gültigen Orthographie vermittelt. Das ist, um es vorwegzunehmen, eine sehr begrüßenswerte Initiative, die der Bevölkerung ein gesellschaftlich relevantes Thema auf neue Art und Weise nahebringt. Leider, auch das muss allerdings gesagt sein, finden sich auf den Seiten derzeit noch einige Ungenauigkeiten, missverständliche Beispiele und – das ist natürlich für eine solche Seite etwas unpraktisch – auch Rechtschreibfehler. Ganz abgesehen davon, dass die zusammenfassenden Info-Boxen für einzelne Regeln für jemanden wie mich, der gerade (als Sprachwissenschaftler wohlgemerkt) dabei ist, die Sprache sprechen und schreiben zu lernen, teilweise eher verwirrend als hilfreich wirken. Ob die Präsentation der Regeln also für das anvisierte Zielpublikum (Luxemburger*innen, die ihre Sprache schreiben lernen wollen) geeignet ist, wird die Diskussion in den nächsten Wochen zeigen müssen. Meiner grundsätzlichen Begeisterung für die Aufmachung der Kampagne tun diese Einschränkungen allerdings keinen Abbruch.

Dennoch hätte man sich vielleicht in den beteiligten Ministerien ein wenig mehr Zeit nehmen sollen, um die Inhalte nicht nur mit den verschiedenen Expert.innen abzustimmen, sondern auch pädagogisch noch besser aufzubereiten, statt angesichts der aktuellen Debatte möglichst schnell ein Aktionsprogramm zu lancieren. Dieser Umstand ist ein wenig schade, da die Idee hinter der Kampagne toll ist und sie zu einer Zeit kommt, in der ein öffentlicher, teilweise hitziger Diskurs über den Stellenwert und den Ausbau des Luxemburgischen zu einer Standardsprache geführt wird. Man kann die Kampagne also als staatlichen – und angesichts der Lapsus auch etwas überstürzten – Beitrag zu dieser Debatte ebenso wie zur Institutionalisierung des Luxemburgischen ansehen.

Dass solche Maßnahmen nötig sind, liegt an der besonderen soziolinguistischen Verfasstheit der luxemburgischen Mehrsprachigkeit. So ist Luxemburgisch zwar Nationalsprache ebenso wie eine der am häufigsten gesprochenen Sprachen im Alltag, doch weder in der Alphabetisierung (Deutsch) noch der öffentlichen Verwaltung (Französisch) ist das Luxemburgische wirklich präsent. Und so kommt es zu der sonderbaren Situation, dass es zwar eine offiziell geregelte Orthographie seit längerem gibt (in der aktuell gültigen Fassung seit 1975, mit Erweiterungen in 1999), diese aber den meisten Sprecher.innen kaum oder nur in groben Zügen bekannt ist. Dass Luxemburgisch dennoch, besonders in den digitalen Medien und von der jungen Generation, immer mehr geschrieben wird, mag ein Grund für die aktuelle Kampagne sein. Ebenso vielleicht wie die Tatsache, dass die dort praktizierten Varianten der Schreibung mit den offiziellen Regeln teilweise nicht viel zu tun haben. (Die Frage wäre, ob das schlimm ist, solange der praktische Nutzen einer Schreibsprache, die erfolgreiche Übermittlung von Informationen und Emotionen, dennoch gewährleistet ist?) Ein anderer Grund dürfte in dem Umstand liegen, dass eine verbindliche schriftsprachliche Norm von vielen Akteuren in der luxemburgischen Sprachenpolitik als entscheidender Schritt zur Förderung und weiteren Entwicklung der Sprache auf dem Weg der Standardisierung angesehen wird. Das war z.B. in der Debatte über die Petitionen 698 und 725 in der Chamber gut zu beobachten, in der sowohl die Petitionäre als auch die anwesenden Vertreter*innen der Politik immer wieder auf die (mangelnde) Fähigkeit zum korrekten Schreiben und den Nutzen der Rechtschreibkorrektur-Seite spellchecker.lu Bezug nahmen.

Es ist also durchaus logisch wie angesichts der derzeitigen Diskussionen im Land in gewisser Weise zwangsläufig, dass man mittels einer staatlichen Initiative versucht, den Sprecher*innen des Luxemburgischen die offizielle Schreibung ihrer Sprache nahezubringen, zumindest wenn man das Luxemburgische zu einer “erwachsenen” Sprache ausbauen will. Aus sprachenpolitischer Sicht ebenso wie in den Köpfen der meisten Bürger ist orthographische Standardisierung auf diesem Weg ein entscheidender Schritt. Die Frage ist – wie in den meisten Fällen dieser Art – nur eben: aber wie?

Die Bürger*innen mit dieser ebenso frischen wie unterhaltsamen Kampagne auf die bestehenden Regelungen hinzuweisen ist sicher richtig und eine angenehm freundliche Variante staatlicher Sprachenregulierung. Gleichzeitig sollte aber allen Beteiligten klar sein, dass die erfolgreiche und langfristige Etablierung schreibsprachlicher Kompetenzen nur auf schulischen Weg – im Unterricht oder in Sprachkursen – erfolgen kann. Deshalb ist diese Kampagne zwar eine wichtige Maßnahme, die wirkliche Diskussion darum, ob und wie man die Sprache langfristig fördern und standardisieren sollte, steht aber noch aus.

In diesem Zusammenhang wäre dann auch über einige der im Rahmen der Kampagne erläuterten Regeln nachzudenken, die zwar Ausdruck der Eigenheiten des Luxemburgischen sind, den Erwerb der Schriftsprache aber unnötig erschweren. Das betrifft zum Beispiel die sogenannte “Eifler Regel”, die besagt, dass ein am Wortende nur in bestimmten Lautkontexten geschrieben wird – wenn das Folgewort auf Vokal oder die Konsonanten <n, t, d, h, z> anlautet bzw. vor einem Satzzeichen. Diese Regel ist dem Umstand geschuldet, dass sich die Schreibung des Luxemburgischen an der Aussprache orientiert und in den meisten Kontexten -Laute am Wortende eben nicht gesprochen, sondern zugunsten des Anlautes des Folgewortes ausgelassen werden. Insofern ist diese Regel in Bezug auf die Entsprechung von Lautbild und Schriftbild der Sprache (die sogenannte Phonem-Graphem-Korrespondenz) konsequent. Hilfreich ist sie dagegen nicht, besonders für Sprachlerner*innen.

Vielleicht wäre es deshalb angebracht, sie zugunsten einer anderen Heuristik der Rechtschreibregelung aufzugeben: Zugänglichkeit und Einfachheit. Denn auch wenn es in jeder Sprache, so auch im Luxemburgischen, Dinge gibt, die man schlicht lernen muss, weil sie historisch gewachsene oder politisch gewollte Regelungen widerspiegeln, die nicht unbedingt logisch sein müssen, um Geltung zu beanspruchen, so ist der einfache Zugang zu einer Schreibsprache doch ein wichtiges Mittel gesellschaftlicher Integration. Gerade im Fall einer Sprache, deren praktische Verankerung im Alltag nicht gesichert scheint, könnte sich Zugänglichkeit von Normen als besseres Mittel erweisen als die Betonung von Eigenheiten, um die Schreibung erfolgreich im Bewußtsein der Sprecher*innen zu verankern.

Ein anderes Beispiel betrifft die Variantenschreibungen, die für viele Lehnwörter aus dem Französischen und Deutschen gelten. So gibt es zwar eine Regel, die besagt, dass lang gesprochene Vokale mit Doppelvokal symbolisiert werden, wenn sie lang gesprochen werden, etwa im Wort “Reegel”, gleichzeitig jedoch wird die an das deutsche Lehnwort angelehnte Schreibung “Regel” toleriert. Auf der Suche nach der richtigen Schreibung findet man allerdings, je nachdem welche Quelle man zurate zieht, mal die eine, mal die andere, mal beide Schreibungen, zumeist ohne nähere Erklärung (vgl. hierzu den Artikel im Tageblatt und die Stellungnahme der Orthographie-Kampagne auf der Facebook-Seite).

Wer also das Luxemburgische fördern und zur schriftlichen Standardsprache ausbauen will, sollte vielleicht zuerst die orthographischen Regeln selbst einer gründlichen, von Fachleuten begleiteten Revision unterziehen. Auch das gehört zum Prozess der Standardisierung; die dazu nötige sprachwissenschaftliche Kompetenz ist ja vorhanden. Und der muss sich dann eben auch der Diskussion stellen, wie man diese Regeln der Bevölkerung am besten nahebringt. Da führt, auch wenn die luxemburgische Politik das in dieser Deutlichkeit derzeit nicht aussprechen möchte, letztlich kein Weg an der schulischen Vermittlung vorbei. Für all diejenigen allerdings, die der Schulbank bereits entwachsen sind und dennoch Luxemburgisch schreiben (lernen) wollen, kann die Seite schreiwen.lu wertvolle Hilfe leisten. Zumindest sobald die Rechtschreibfehler und Ungenauigkeiten beseitigt wurden. Denn auch das gehört zum Prozess der Standardisierung einer Sprache: sich die nötige Zeit zu nehmen – und sie allen Sprachbenutz*erinnen zu geben –, um in Ruhe ebenso fundierte wie zugängliche Lösungen zu erarbeiten. In Zeiten medial beschleunigter, von Emotionen statt Fakten getriebener Diskurse keine leichte Aufgabe.