In Luxemburg ist derzeit Wahlkampf; man merkt es allerdings kaum. Mitte Oktober wird hierzulande das neue Parlament gewählt, und angesichts der politischen Lage in Europa ebenso wie der laut beschwiegenen Leerstellen im gesellschaftlichen Diskurs auf nationaler Ebene könnte man als geneigter Beobachter eigentlich erwarten, dass mal so richtig die Fetzen fliegen im Staate Melusina. Aber weit gefehlt. Wenn es dem Land gut geht, soll es den Menschen noch besser gehen (Slogan auf einem Plakat der DP). Und offensichtlich geht es Land und Menschen so gut (was genau ein Land ohne seine Menschen ist, müsste die DP gelegentlich erklären), dass politische Konfrontation weitgehend ausbleibt. Hier und da ein Radiofeature oder Wahlkampftaxi, sonore Regierungsbilanzen in den Zeitungen, ansonsten vor allem Parteien, die ihre Programme etappenweise in leicht verdaulichen Häppchen präsentieren: Die volle Ladung Politik ist dem satten Wahlvolk zwischen “Déckkäpp” und Oktoberfest einfach nicht zuzumuten; immerhin bekommt die ebenso notorische wie beliebte “table ronde” – in Luxemburg etwas ungelenk auch als “Rundtischgespräch” bezeichnet – ausreichend Sendezeit im Fernsehen. Ein wenig scheint es, als fügten sich die Luxemburger.innen einfach in ihr demokratisch verordnetes Schicksal, dass man eben wählt und sogar wählen muss, auf dass hinterher alles im gewohnten Gang und Komfort weitergehe.

Pappkameraden und Plattitüden

Das augenfälligste Merkmal des Wahlkampfs sind deshalb die eifrig im ganzen Land aufgestellten und -gehängten Pappkameraden (ja sogar -kameradinnen), Wahlplakate, auf denen die Parteien dem Wahlvolk – und natürlich auch der anderen Hälfte der Bevölkerung – ihre zentralen Botschaften und Wahlversprechen anbieten. Die politische Abteilung der hiesigen Kreativwirtschaft durfte sich mal ein wenig austoben, damit jede Partei eine möglichst freshe Kampagne bekomme (nur die LSAP scheint das bei der Auswahl des Wahlslogans irgendwie vergessen zu haben). Die Ergebnisse allerdings werfen Fragen auf, und damit meine ich nicht mal den Umstand, dass die rechtskonservative ADR, die nationale Identität und Förderung des Luxemburgischen quasi zu ihrer Existenzberechtigung erklärt hat, scheinbar nicht in der Lage ist, die Landesflagge richtig herum auf Plakate zu drucken oder die “einzige Nationalsprache” (ADR) Luxemburgisch fehlerfrei zu schreiben.

Wahlplakate in Luxemburg-Clausen

Mich interessieren vor allem die Slogans der (größeren) Parteien als Stellvertreter für die Kampagnen, auch weil sie aus linguistischer Sicht interessant sind. Wahlslogans sind nämlich so etwas wie die Königsdisziplin der politischen Kommunikation, das zeigen die wenigen Beispiele für gelungene Slogans, die häufig direkt zu Ikonen werden (man denke etwa an das “Yes, we can” der Obama-Kampagne). Allerdings sind Wahlslogans auch eine sehr undankbare Disziplin: Man muss versuchen, ein komplettes Parteiprogramm, einen darin enthaltenen Gesellschaftsentwurf und ein Versprechen, wie man beides zusammenbringen möchte, in eine kurze und griffige Formel zu bringen, die aktuelle Debatten im Land aufgreift und dabei noch frisch und zeitgeistig klingt. Das kann eigentlich nur scheitern. Auch deshalb werden die Slogans dann mitunter durch zusätzliche Schlagwörter ergänzt, die den groben ideologischen Horizont der Partei abstecken sollen, wie bei déi Gréng oder der CSV.

Generell merkt man den Kampagnen aller Parteien an, dass und wie sehr die Debatte über Mehrsprachigkeit und nationale Identität die Parteien offensichtlich unter Zugzwang setzt. Das zeigt sich auch in den Slogans, recht offen z.B. bei der der liberalen DP, die thematisch vor allem die Identitätskarte spielt (“Zukunft op Lëtzebuergesch”), aber auch etwa bei, déi Gréng, die sich die Liebe zum Land auf die Fahnen schreiben (“Well mer eist Land gär hunn”). Auffällig ist zudem, dass die Slogans vieler Parteien daraufhin konzipiert sind, sowohl für sich stehen zu können als auch als Dreh- und Angelpunkt für thematische Weiterführungen auf Plakaten und in Spots genutzt werden zu können, z.B. “Zesummen fir…” bei der LSAP, “Mir hunn e Plang fir …” bei der CSV oder dem “… fir jiddereen” der Piraten. Das setzt natürlich enge Spielräume für sprachliche Kreativität und thematische Details.

Vor allem aber führt das dazu, dass man keine Kampagne als rhetorisch wirklich gelungen bezeichnen kann, sei es, weil die Slogans eigentlich Selbstverständliches wie politisches Engagement oder planvolles Vorgehen betonen, sei es, weil sie versuchen, aus aktuellen Debatten über Identität Kapital zu schlagen, sei es, weil sie in Teilen redundant sind. Wie banal viele Wahlslogans (zwangsläufig) letztlich sind, kann man sich leicht for Augen führen, wenn man ihre Bedeutung einfach mal ins Gegenteil verkehrt, also etwa “Faul für Stillstand” statt “Engagéiert fir Verännerung” bei déi Lénk. Da zeigt sich schnell, dass bei Slogans eigentlich durchweg mit politischen und rhetorischen Gemeinplätzen agiert wird, die entweder Grundwerte gesellschaftlicher Organisation (Zusammenhalt, gutes Leben), Dynamik (Zukunft, Veränderung) oder aber das Selbstbild der Partei ins Zentrum rücken (Engagement, Sachkenntnis). Schauen wir uns deshalb die zentralen Wahlslogans der Parteien mal etwas genauer an, in alphabetischer Reihenfolge (ich selbst darf ja als Arbeitsmigrant meine politische Präferenz bei der Wahl gar nicht kundtun). Das bedeutet natürlich eine Verengung der Sichtweise, weil die Slogans ja nur je Teil von größeren Kampagnen sind, aber sie sind eben in der Regel ihr auch zentraler Baustein. Einen ähnlichen Kommentar findet man auch auf der Website von RTL.lu.

Slogans zwischen Sinn und Seltsamkeit

  • ADR: Die ADR versucht mit dem Slogan “Är Stëmm fir Lëtzebuerg” vorrangig an den Patriotismus der Wähler.innen zu appellieren und sich damit selbst zur “Stimme Luxemburgs” zu erheben, im Ergebnis klingt der Slogan dann aber eher ungewollt komisch: Für was sonst wenn nicht für Luxemburg sollte man bei den Chamberwahlen seine Stimme abgeben? Frankreich?
  • CSV: Die CSV setzt mit “Mir hunn e Plang fir Lëtzebuerg” ebenso einen eher komischen Effekt im Wahlkampf, indem eine thematisch fast leere Aussage in den Mittelpunkt gerückt wirkt: Man lässt die Wähler.innen wissen, dass man offensichtlich politische Ideen hat, will aber nicht preisgeben, welche das sind. Taktisch kann man darin vor allem eine Vermeidungsstrategie erkennen, die thematische Festlegungen umschifft.
  • DP: Die DP setzt mit “Zukunft op Lëtzebuergesch” am stärksten auf populistische Inhalte. Dabei wird versucht, die gesellschaftspolitische Idee einer “luxemburgischen Version der Zukunft” zu lancieren, zugleich bedient man sich dabei recht offen bei der Sprachendebatte, um möglichst viele identitätsbesorgte Wähler.innen zu binden. Auch daran zeigt sich, dass die Sprachendebatte vor allem ein Stellvertreterdiskurs für gesellschaftliche Streitfragen ist, ein taktisches Mittel der politischen Kommunikation.
  • déi Gréng: Die Grünen setzen mit den vorangestellten Schlagwörtern “Zukunft, Zesummenhalt, gutt Liewen” prominent auf eher plakative Schlagwörter (man denke wieder an den Umkehrtrick), spätestens im begleitenden Slogan setzt die Kampagne dann aber ebenfalls ein identitätsbezogenes Motiv: “Well mer eist Land gär hunn”. Damit liegen die Grünen durch die Formel “Zukunft + Liebe zum Land” recht nah bei der DP, allerdings wird hier eher ein emotionales Statement gesetzt (“gär hunn”).
  • KPL: Mit dem Slogan “Deng Stëmm fir eng konsequent Oppositioun” appelliert die kommunistische Partei ähnlich wie die ADR direkt an die Wähler.innen, inszeniert sich dabei aber im Gegensatz zu allen anderen Parteien offen als Oppositionskraft. Interessant sind überdies die persönlichere Ansprache (“deng” statt “är”) sowie der Umstand, dsss mit “konsequenter” Arbeit in der Opposition wieder eigentlich Selbstverständliches adressiert wird.
  • déi Lénk: Der Slogan “Engagéiert für Verännerung” ist ein gutes Beispiel dafür, wie Parteien versuchen, weniger thematische Aspekte ihres Programms als ihr Selbstbild zentral zu stellen. Hier wird letztlich ebenfalls das Bild einer Partei entworfen, die sich für das Land einsetzt und zukunftsorientiert ist, nur eben weniger thematisch und mehr auf das eigene Handeln bezogen. Rhetorisch ist das zwar deutlich stärker als etwa bei der CSV, letztlich aber eben trotzdem ein Gemeinplatz: Sollte man als Wähler.in Engagement für die Entwicklung des Landes nicht voraussetzen dürfen?
  • LSAP: Bei der LSAP muss man ein wenig suchen, bis man etwas findet, das man als Slogan bezeichnen könnte. Das etwas rudimentäre “Zesummen” betont pauschal den gesellschaftlichen Zusammenhalt und versucht damit zugleich, die Wähler.innen emotional zu umarmen, indem die Partei sich und die Wählerschaft unter ein verbindendes Motto stellt. Man findet daneben auch die längere Version “Solidaritéit liewen: Fir Fortschrëtt a Gerechtegkeet”, in der wir die bekannten Motive von Zukunftsorientierung und gesellschaftlichem Zusammenhalt erkennen können.
  • Piraten: Mit “Lëtzebuerg: modern & fair fir jiddereen” zeigen sich auch bei den Piraten die klassischen Motive: Das Adjektiv “modern” verweist auf die Zukunftsorientierung, “fair” auf gesellschaftliche Inklusion. Allerdings wird hier eine andere Perspektivierung gewählt: Durch das vorangestellte “Lëtzebuerg:” und die Verwendung von Adjektiven wird eine knappe Selbstbeschreibung des Landes im Sinne einer politischen Vision formuliert. Der zweite Teil des Slogans, “fir jiddereen”, expliziert und intensiviert dann noch einmal das “fair”, ist also rhetorisch eigentlich redundant, wird aber für die erwähnte Serialisierung von Aussagen auf Plakaten benötigt.

Das Unmögliche im Möglichen

Was zeigt uns nun diese kleine Zusammenschau politischer Slogans aus Luxemburg? Vor allem die Schwierigkeit gelungener Kampagnen, die aus dem politischen Einheitsbrei herausragen. Gute Slogans sind rar, schwer zu finden und zudem abhängig von gesellschaftspolitischen Visionen, die in einem Land, dessen politischer Mainstream so breit ist, dass sich selbst an den Rändern des politischen Spektrums kaum Kruditäten finden, schlicht keine Priorität haben, und das obwohl “Zukunft” eine so zentrale Rolle in den Kampagnen einnimmt. Das zeigt beispielsweise die Diskussion um das Ausländer.innenwahlrecht, das in den Medien als ein Grundmotiv für die tektonischen Verschiebungen im politischen Diskurs seit dem Referendum von 2015 gesehen wird. Jede Partei, die sich (erneut) öffentlich für ein Anwohner.innenwahlrecht einsetzte, würde riskieren, bei den Wahlen auf breiter Front von den Nutznießer.innen des status quo abgestraft zu werden. Da lässt man sich dann doch lieber von der Gewissheit einlullen, dass die politischen Vertreter.innen zusammen einen engagierten Plan für die konsequente Veränderung von Luxemburgs Zukunft haben, für alle natürlich und op Lëtzebuergesch, einfach weil sie das Land so gern haben.

Hinweis: Ein Auszug dieser Analyse ist am Donnerstag, den 27.09.2018, in der Zeitung “Tageblatt” erschienen.