Es ist, da muss an sich nichts vormachen, gerade Wahlkampf in Luxemburg. Im Herbst stehen die Kommunalwahlen an, und nächstes Jahr folgt dann die Parlamentswahl. Es ist also kaum verwunderlich, dass derzeit politische Initiativen hinter jeder Ecke hervorlugen (oder -gezerrt werden), sowohl von Seiten der Regierung als auch aus dem Volk. Und weil viele dieser Initiativen sprachenpolitisch motiviert sind, eröffne ich heute eine neue Rubrik namens Neues aus dem Sprachlabor, die dazu dienen soll, ein wenig den Überblick über das zu behalten, was sprachenpolitisch in Luxemburg diskutiert wird. Und das ist wie gesagt so einiges derzeit. Von Regierungsseite ist das kaum überraschend, lässt sich doch mit einer geschickt lancierten Kampagne oder der (überhasteten) Gründung eines Zentrums für das Luxemburgische beim Wahlvolk der Eindruck erwecken, man habe etwas getan, um den Sorgen der Bevölkerung zu entsprechen. Denn einige der Initiativen der letzten Monate wurden und werden ja über öffentliche Petitionen in den politischen Diskurs eingebracht.

Die Serie soll also dazu dienen, die aktuellen sprachenpolitischen Diskurse im Land zu sortieren, die erfolgreichen ebenso wie die weniger erfolgreichen Initiativen zu beleuchten und dabei auch die Rolle der Regierung als taktisch motiviertem Akteur in den Blick zu nehmen. Damit schließt die Reihe an frühere Artikel an, etwa über die Doppel-Petition zum Luxemburgischen oder die Orthographie-Kampagne (schreiwen.lu). In der ersten Folge möchte ich mir zunächst einen Überblick über die Lage verschaffen.

Ein Zentrum für das Luxemburgische

Der Einfachheit halber fange ich mit dem in Planung befindlichen Zentrum für das Luxemburgische an. Dieses ist als eine der 40 Fördermaßnahmen für das Luxemburgische im Rahmen des von Seiten der Regierung lancierten Strategiepapiersins Spiel gebracht worden, gemeinsam einem sogenannten Kommissar für das Luxemburgische, der die Arbeit des Zentrums koordinieren und es nach außen vertreten soll. Bislang ist noch nicht viel über Zuschnitt und Kompetenzen des Zentrums bekannt, wohl aber, dass mit dessen Gründung offenbar noch in dieser Legislaturperiode zu rechnen ist. Angesichts der hitzigen Debatte um die Sprache in der Folge der Doppel-Petition nimmt es kaum Wunder, dass die Regierung hier aufs Tempo drücken will. Eine solche Gelegenheit, dem Wahlvolk eine symbolträchtige neue Kulturinstanz zu präsentieren, die der latenten Angst vor der Überfremdung ein wenig folkloristische Firnis aufpinselt, dürfte so schnell nicht wiederkommen.

Dafür nimmt man es dann offensichtlich von Seiten des Ministeriums auch in Kauf, dass das Konzept für das Zentrum intern ausgearbeitet wird, ohne sich etwa mit den Expert.innen an der Universität zu beraten. Letzteres wäre ebenso wünschenswert wie nötig, lässt die Ankündigung des Zentrums im Aktionspapier doch vermuten, dass sich Kompetenzen und Aufgabenbereiche mit denen des Instituts für luxemburgische Sprach- und Literaturwissenschaft zumindest teilweise überschneiden werden. Soweit bislang bekannt, soll der Kernbereich des Zentrums die Standardisierung und orthographische Normierung des Luxemburgischen vorantreiben. Hierzu soll das LOD (Lëtzebuerger Online Dictionnaire) gänzlich in die neue Struktur überführt werden; aber auch andere Aufgaben, etwa ein Sprachmuseum oder populäre Forschung, könnten Teil des neuen Zentrums werden. Internen Quellen aus dem Ministerium zufolge liegt ein Gesetzentwurf für das Zentrum bereits vor, und es steht zu erwarten, dass hier groß geplant und investiert werden soll. Umso nötiger wäre es, dass sich das Ministerium mit externen Expert.innen beriete, um zu vermeiden, dass der Aufbau des Zentrums genauso überhastet erfolgt wie etwa die Ausarbeitung des Strategiepapiers oder der Orthographie-Kampagne. Andernfalls steht zu befürchten, dass zwar viel Geld und Stellen in die neue Struktur investiert werden, am Ende aber nur Halbgares dabei herauskommt. Darüber hinaus, so lehrt es der Disput um das Institut für Geschichte der Universität, bringt die Schaffung von Doppelstrukturen allerlei Unwägbarkeiten in Bezug auf inhaltliche Koordination und strukturelle Implementierung mit sich.

Petitionen sprießen wie Pilze

Wenngleich über das Zentrum noch nicht viel Konkretes bekannt ist, auch der Name des Sprachkommissars ist bislang nicht durchgedrungen, so zeigt die gesamte Planung doch, dass und wie sehr die Petitionen zu einem Mittel geworden sind, mit dem die Politik in Luxemburg unter Zugzwang gesetzt werden kann. So überrascht es kaum, dass in der Folge der Doppel-Petition eine Reihe weiterer Initiativen gestartet wurde, die sich mit sprachenpolitischen Themen befassen. Dabei erreicht bislang keine der neuen Petitionen das Ausmaß öffentlicher Aufmerksamkeit wie die beiden ersten; allerdings – auch das sollte gesagt sein – scheinen sich die Autor.innen der neuen Petitionen zusehends weniger Mühe mit dem Ausarbeiten überzeugender Petitionstexte zu machen. Manche der eingereichten Texte wirken regelrecht dahingeschludert. Drei Petitionen sind dabei in den letzten Wochen zur auf den Seiten der Chamber lanciert worden:

  • Petition 767 | Luxemburgisch als Pflichtsprache in den Kliniken: Die erste Petition, initiiert von Philipp Gérard und eingereicht auf Luxemburgisch, befasst sich mit der Sprachensituation in den Krankenhäusern. Es wird die Forderung nach Luxemburgisch als Pflichtsprache für alle Klinik-Angestellten und Ärzte.innen gefordert, da es viele Luxemburger.innen gebe, die sich nur in ihrer Muttersprache sicher ausdrücken könnten. Ob das wirklich so ist, sei dahingestellt. Die jüngsten Volkszählungsdaten jedenfalls weisen in eine andere Richtung. Ebenso unklar ist, ob denn wirklich in den Krankenhäusern des Landes (zu) wenig Luxemburgischkenntnisse vorhanden sind. Hier könnte eine empirische Studie Abhilfe schaffen. Fakt ist dagegen, dass die Petition mit 4259 gültigen Unterschriften das nötige Quorum von 4500 knapp verfehlt hat und damit nicht zur Diskussion in der Chamber zugelassen wurde. Stattdessen wurde sie in eine Pétition ordinaire umgewandelt, verbunden mit einer Aufforderung zur Stellungnahme an die Gesundheitsministerin Lydia Mutsch.
  • Petition 773 | Luxemburgisch als Pflichtsprache im öffentlichen Sektor: Diese Petition, eingereicht von Norman Schneider auf Französisch, weitet die Forderungen ihrer Vorgängerin auf den gesamten öffentlichen Sektor aus. Der Petitionstext ist nicht öffentlich zugänglich, weil derzeit noch über ihre Zulässigkeit entschieden wird; aus dem Titel jedoch geht hervor, dass neben den Kliniken hier auch auf Ärzte im Allgemeinen sowie Apotheken und Verwaltungs-Einrichtungen Bezug genommen wird. Es bleibt abzuwarten, ob die Kommission die zweite Petition in kurzer Folge zu diesem Thema als zulässig anerkennt.
  • Petition 785 | Nein zur Französisch-Frühförderung im Kindergarten: Die dritte Petition im Bunde stammt aus der Feder von Jaques Dahm, wurde auf Französisch eingereicht (sic!) und erreichte mit 4733 Unterschriften das nötige Quorum für eine Anhörung in der Chamber. Diese fand vor einigen Wochen statt. Es geht in der Petition um die vom umtriebigen Erziehungsminister Claude Meisch lancierte Initiative zur Frühförderung für das Französische in den Kindergärten. Ziel der Initiative ist es, die Kinder bereits vor Eintritt in die Schule neben dem Luxemburgischen spielerisch auch an das Französische heranzuführen. Über die Kampagne selbst lässt sich streiten, auch weil sie wiederum lediglich hausintern, ohne Hinzuziehung externer Expert.innen, ausgearbeitet wurde und zudem bislang unklar ist, ob und inwieweit die Kindergärten ausreichend auf diese neue Aufgabe vorbereitet sind. Man kann ihr jedoch zugutehalten, dass sie versucht, eine pragmatische Lösung für eine der zentralen Herausforderungen der hiesigen Mehrsprachigkeit zu finden, nämlich Kinder frühzeitig an die verschiedenen praktisch benötigten Sprachen im Land heranzuführen. Gegen diese Initiative argumentierte nun der Petitionär auf Basis der (reichlich veralteten) lernpsychologischen Annahme, dass Kinder mit einer frühen mehrsprachigen Förderung überfordert und so in ihrer sprachlichen wie sozialen Entwicklung behindert würden. In diesem Zusammenhang nennt der Autor mehrfach eine 100%ige Kompetenz in der Muttersprache, die es zu erreichen gelte, bevor eine fremdsprachige Förderung einsetzen könne. Beide Argumente können als unsinnig eingestuft werden: Erstens zeigen zahlreiche Studien, dass Kinder, die einer frühen Mehrsprachigkeit ausgesetzt sind, keinesfalls Entwicklungsnachteile erfahren, sondern im Gegenteil kognitiv und sozial von dieser Förderung profitieren (dass ein solches Setting dennoch individuelle Verzögerungen in der Ausprägung einzelner Kompetenzen mit sich bringen kann, etwa aufgrund einer zunächst unscharfen Trennung zwischen Sprachsystemen, sei dennoch zugestanden). Und zweitens ist die Annahme einer 100%igen Sprachkompetenz eine ebenso schlichte wie nicht zielführende Illusion: Sprache dient praktischen Zwecken; Menschen werden durch sie in die Lage versetzt, im Alltag erfolgreich zu handeln. Eine solche Kompetenz benötigt Förderung ebenso wie ausreichende Praxis, keinesfalls aber ein Kompetenzziel, das so gut wie kein.e Muttersprachler.in je erreicht, weil es praktisch nicht relevant ist. Vor diesem Hintergrund verwundert es denn auch kaum, dass der Petitionär und seine Begleiterinnen in der Anhörung vor allem durch mangelnde Sachkenntnis und fehlendes Verständnis der lernpsychologischen Zusammenhänge auffielen. Was das wiederum über das Betreuungssystem aussagt, sei einmal dahingestellt.

Unabhängig von der Frage, ob die nächsten Wochen und Monaten weitere sprachenpolitische Petitionen erleben werden, zeigen diese Beispiele, dass die Mehrsprachigkeit im Land, ihre praktischen Herausforderungen und Chancen, die Gemüter nach wie vor erhitzen (können). Dennoch steht zu erwarten, dass mögliche weitere Petitionen kaum ähnliche Chancen auf so große öffentliche Wahrnehmung und damit Erfolg haben werden, wie sie der Doppel-Petition zum Luxemburgischen vergönnt waren. Es scheint, als sei die Welle der Erregung fürs Erste gebrochen und laufe nun in sich kräuselnden Kämmen beschaulich am Strand aus. Das aber kann sich schnell ändern, sobald zum Beispiel die Planungen für das Zentrum fürs Luxemburgische konkret werden.

Eine vierte Sprache per Gesetz

Eine weitere sprachenpolitische Maßnahme vollzieht sich derzeit weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Es handelt sich um eine Änderung des Sprachengesetzes von 1984 durch eine Gesetzesinitiative (Dossier 7142). Gegenstand der Änderung ist die Aufnahme einer vierten Sprache in das Sprachengesetz (Artikel 3), nämlich der Deutsche Gebärdensprache (DGS), die als “langue de part entière” anerkannt werden soll. Damit verbunden sind vor allem Rechte für Gebärdensprecher.innen, etwa wenn es um das Bereitstellen von Dolmetscher.innen und Sprachunterricht für Angehörige geht. Mit dieser Initiative setzt die Regierung eine EU-Empfehlung aus dem Jahr 2003 um, die eine Förderung der Gebärdensprachen in den Staaten der EU verfolgt. Die explizite Festlegung auf die Deutsche Gebärdensprache ist dabei einerseits praktischen Erwägungen geschuldet – die meisten Gebärdensprecher.innen in Luxemburg lernen die DGS –, dennoch ließe sich andererseits natürlich fragen, warum von der ja wünschenswerten Förderung und Anerkennung die Sprecher.innen anderer Gebärdensprachen explizit ausgeschlossen werden und ob dies im Sinne der genannten EU-Richtlinie ist.

Alle Sprachen sind gleich, aber manche sind gleicher

Und so nährt denn auch diese Maßnahme, obschon sie offenbar mit der Community der Sprecher.innen abgestimmt wurde, leise Zweifel an der sprachenpolitischen Strategie der Regierung. Egal ob es um die Einrichtung eines Zentrums zur Förderung des Luxemburgischen geht, um die französische Frühförderung oder eben um die Anerkennung einer bestimmten Gebärdensprache: Solche Initiativen und Gesetze haben immer auch – implizite oder explizite – Nebenwirkungen auf die anderen Sprachen im Land. Es scheint, als würde die Regierung an manchen Stellen zu einseitig bestimmte Ziele in den Blick nehmen, diese (siehe die Zentrumsidee) dann überhastet und häufig im Alleingang ins Werk setzen und dabei ebensolche Nebenwirkungen übersehen oder ausblenden. Es steht zu hoffen, dass ein öffentlicher Diskurs über die Sprachenpolitik in Luxemburg, ihre Möglichkeiten, Herausforderungen und Auswirkungen, wie er in den letzten Monaten in den Medien zu beobachten war, dazu beitragen hilft, die Auswirkungen solcher Maßnahmen zum Guten zu entwickeln. Eine angenehm pragmatische und wenig dogmatische Position nimmt in diesem Zusammenhang ausgerechnet die Bank ING ein, mit einer nüchternen Beschreibung der Mehrsprachigkeit im Land sowie einer freundlichen Aufforderung, sich das Luxemburgische aus praktischen Erwägungen anzueignen (den Artikel gibts übrigens auf Deutsch, Englisch und Französisch zu lesen). Von einer solchen Gelassenheit könnten sich viele Beteiligte in der Diskussion um die Sprachen in Luxemburg und ihre Benutzer.innen durchaus eine Scheibe abschneiden.

In einer der nächsten Folgen der Serie beschäftige ich mich mit der Frage, wie im sprachenpolitischen Diskurs Autoritäten aushandelt werden, wer also aus welchen Gründen und mit welchem Anspruch die Deutungshoheit bzw. Wirkungsmacht über die Sprachenpolitik im Land beansprucht oder zugeschrieben bekommt.